KEITAESK – DER FLUCH UND SEGEN DES NABY KEITA! – TEIL I

Leipzig - (01.01.2019) Seit gut einem Monat ist klar, was die Spatzen schon seit dem Sommer von dem Dach des Trainingszentrums am Cottaweg pfiffen. Tyler Adams, das Toptalent der New York Red Bulls wird ein Leipziger Bulle! Ein Porträt des jungen Mittelfeldspielers.


Das Wintertransferfenster ist offen! Gerade im zentralen Mittelfeld ist es RB Leipzig im Sommer nicht gelungen, die für die Dreifachbelastung und die großen Vereinsziele sicherlich dringend notwendigen Verstärkungen zu verpflichten, sowie den Kader dort insgesamt auf breitere Füße zu stellen. Natürlich konnte daher auch die (lang bekannte) Lücke nach dem Weggang von Naby Keita bisher nicht geschlossen werden. Offensichtlich aufgrund eines doch sehr großen öffentlichen Druckes, sah sich der Verein schon kurz nach Schließung des Sommertransferfensters gezwungen, die feste Verpflichtung zweier unbekannter Spieler im Winter bekanntzugeben. Wie am 02.12. nun offiziell verkündet worden ist, ist der 19-jährige Amerikaner Tyler Adams vom Schwesternclub New York Red Bulls aus der Major League Soccer einer von ihnen. Nach den ganzen Vorgeschichten wenig überraschend, wechselt er im Januar nach Leipzig zu unserem geliebten RasenBallsport und unterschreibt einen Vertrag bis 2023. Es wird von einer Ablösesumme im unteren 7-stelligen Bereich ausgegangen.
Tellerwäscher-Geschichten
Tyler Adams war bisher eine reine, fast bilderbuchmäßige Erfolgsgeschichte. Eine Geschichte wie sie gerade in den patriotischen, „vom Tellerwäscher zum Millionär geprägten“ USA geliebt und gern überschwänglich erzählt wird: Das Kind einer alleinerziehenden, 22-jährigen Mutter wird am 14.02.1999 geboren. Er wächst unter sehr einfachen Verhältnissen auf, findet im Fußball schon früh seine Berufung, wird in der Nähe seiner Heimatstadt Wappingers Falls, N.Y bei einem Sommercamp als 12 jähriger aus hunderten anderen gesichtet, zum Training eingeladen, im Verein aufgenommen, gefördert, familiär unterstützt und in der RedBull-Fußballschule von New York ausgebildet. Mithilfe seines außerordentlichen Talents, viel Durchsetzungskraft, Wille und Ehrgeiz sprintet Tyler wahrlich durch alle Jugendteams und überspringt dabei auch schon mal die eine oder andere Stufe. Kometenhaft gelingt ihm Aufstieg und Erfolg. Den aber vielleicht wichtigsten Erfolg und die Basis seiner Entwicklung und Charakterbildung gelingt seiner Mutter, die mit dem Vater eines Schul- und späteren Teamkameraden zusammenkommt, den sie während des Trainings ihres Jungens kennen- und lieben lernt. Der junge Tyler bekommt erstmalig einen richtigen Vater (zudem 3 Halbbrüder), der ihn anerkennt, liebt und fürsorglich umsorgt. Einen Vater, der zudem noch (in erster Generation) schottischer Abstammung und eingefleischter Fan der Glasgow Rangers ist. Wahnsinn. Eigentlich hatte er gar keine andere Chance als Fußballprofi zu werden. Jetzt spielen wir gedanklich noch die amerikanische Nationalhymne und hissen selbige Flagge – hach ja. Nein, eine wirklich schöne Geschichte.
Waren die Geschichten unserer bisherigen Transfers oft davon geprägt, dass man sie tatsächlich googeln musste, weil sie sich in den Untiefen der zweiten französischen Liga, Pariser Hinterhöfen, europäischen Jugendligen oder gar in Uruguay abspielten, findet man bei Tyler Adams ein weitläufiges, genauestens medial und fast minutiös aufgearbeitetes, unfassbar gehyptes Feld seiner bisherigen Lebensgeschichte, vollgestopft mit unzähligen Interviews, Videos, Artikeln und Geschichten. Eigentlich ist das nicht das Feld, auf dem ich mich gerne bewege, weil es einerseits einfach für jeden recherchierbar ist und andererseits auch wenig Neues und Verborgenes gibt, was es wert wäre zu erzählen, da sich bereits hundertfach daran abgearbeitet worden ist. Dennoch bin ich natürlich ein Freund von Leidenschaft und Emotion, insbesondere dann, wenn sie im Zusammenhang mit Sport im Allgemeinen und Fußball im Speziellen stattfinden. Daher konnte ich mich auch für die Geschichten, Videos und Interviews von Tyler Adams begeistern. Aber auch ich komme an meine Grenzen, wenn sie mit so viel Pathos und Patriotismus wie dort erzählt werden. Was bleibt also übrig von der Geschichte und für unseren Verein, wenn man sich den ganzen Pathos einfach mal wegdenkt?
Perfect Transition
In der ersten Pressekonferenz nach der offiziellen Verkündung der Verpflichtung brachte es Tyler Adams in New York m.E. schon selbst mit einen kurzen aber prägnanten Satz auf den Punkt:
“It seems like the perfect transition when you think about it all together.” [Quelle]
(„Es scheint wie ein perfekter Übergang, wenn du alles zusammen in Betracht ziehst.“)
Und hier hat er absolut Recht. Es ist ein logischer und absolut sinniger nächster Schritt in seiner Karriere an dieser Stelle. Tyler ist ein Musterbeispiel für die Heranführung eines (zweifelsohne) sehr großen lokalen Talents über sämtliche Entwicklungsstufen hinweg von: Talentsichtung und -auswahl in ganz jungen Jahren über fußballerische und schulische Ausbildung bis hin zum Einsatz in der ersten Profimannschaft des New Yorkers RedBull-Vereins und einer amerikanischen Profiliga, die in ihrer Stärke und Breite prädestiniert dazu ist, sich als junger Profi erstmalig bei den Männern zu beweisen, zu lernen, sich durchzusetzen und weiterzuentwickeln. Sie ist aber auch eine Liga, aus der man als vielversprechendes Talent vom Niveau her schnell entwächst und auch entwachsen muss, um die nächsten, noch viel größeren Schritte machen zu können. Adams, der noch nicht einmal 20 Jahre ist und ebenfalls (wie gefühlt die halbe RB-Mannschaft) in seiner Freizeit, dass offensichtlich sehr beliebte Fortnite auf seiner Playstation spielt, befindet sich genau an dieser Stelle. Und es ist auch höchste Zeit dazu. Heimweh wird er wohl nicht bekommen:
“I love my parents to death, but I’m not one of those people that get homesick very easily or anything like that. It’s nice to kind of isolate yourself and learn different things, learning how to cook, being on your own and handling your own schedule.” [Quelle]
(„Ich liebe meine Familie wie verrückt, aber ich bin kein Mensch, der sehr leicht Heimweh oder etwas in der Richtung bekommt. Es ist schön auf eigenen Füßen zu stehen und neue Dinge zu lernen, wie bspw. zu kochen, allein mit sich sein zu können und den eigenen Zeitplan zu handhaben.“)
Nachwuchs-(muster-)bulle
Im Juli 2015 machte er sein erstes Profilspiel für die Red Bulls im International Champions Cup gegen Chelsea. Der erst 16-Jahre alte Adams erzielte sofort ein Tor beim 4-2 Sieg. Noch jung an Jahren, wurde er in der damaligen Saison noch bei der zweiten Männermannschaft eingesetzt, bei der er direkt eine Schlüsselrolle beim Gewinn der United Soccer League (USL) innehatte.
Sein Debüt in der ersten Profiliga MSL gelang ihm noch nicht mal ein Jahr später, am 13.April 2016 in San Jose unter keinem geringeren als unserem jetzigen Co-Trainer Jesse Marsch.
Schon 2017 kämpfte er sich in die erste Elf.
“You want to be one of those guys that can become a regular. Obviously, that was a goal with me for Red Bulls: to cement myself, earn the respect of others and become a starter.” [Quelle]
(Du möchtest einer derjenigen werden, die regelmäßig spielen. Selbstverständlich war das für den Verein ein Ziel für mich: mich zu festigen, den Respekt der anderen zu verdienen und eine Stammspieler zu werden.“)
Seitdem machte er über 70 Spiele in der höchsten amerikanischen Spielklasse, spielte zudem auch in den U-17 und U-20 Mannschaften des Landes, debütierte in dieser Saison auch für die A-Nationalmannschaft gegen Portugal und wird seitdem regelmäßig eingeladen. Er hat seinem New Yorker Klub viel zu verdanken. Zurecht und auch nicht übertrieben, merkte er an:
“I’ve worn a New York Red Bulls shirt for eight years, and this club has become a second family to me. I will always be grateful to the many people who believed in me, mentored me, and helped me get to this point. I’d also like to thank my family for their never-ending love and support. This club will always have a special place in my heart.” [Quelle]
(„Ich trug 8 Jahre lang das Trikot von New York und dieser Klub wurde wie eine zweite Familie für mich. Ich werde stets den vielen Menschen dankbar sein, die an mich geglaubt, angeleitet und geholfen haben, diesen Punkt zu erreichen. Ich möchte zudem meiner Familie und ihrer niemals endenden Liebe und Unterstützung danken. Dieser Klub wird immer einen speziellen Platz in meinem Herzen haben.“)
Furchtloser Terrier
Seinem Pathos an dieser Stelle, liebe RB-Fans, dürft ihr gerne ernst nehmen. Er ist auch nicht medial übertrieben, sondern absolut authentisch. Er meint das hundertprozentig ernst, und es ist weit weg von einem Wappen küssenden Fußballprofi, der nach einem Tor feiernd in seine Kurve rennt. Seine dankbare, demütige, stets bodenständige Art und seine ungewöhnliche, eigentlich unübliche Reife in so jungen Jahren, die gepaart sind mit unbändigen Ehrgeiz, Willen, Durchsetzungskraft, Mentalität und seine Furchtlosigkeit auf dem Feld sind, neben den fußballerischen, seine größten Stärken. Sein Team-Kamerad Wright-Phillips drückte es in einem Interview so aus:
“Other than the fact that he can play, and he’s a good player, is that he’s fearless. I’ve seen a lot of good players go into changing rooms and crumble or step onto a pitch and not be themselves. His biggest strength to me is that he’s fearless. He can be playing in the Champions League and he’ll look like he’s been there for years. With that and his appetite for the game, he’s got the world at his feet.” [Quelle]
(„Abgesehen von der Tatsache, dass er spielen kann, und er ist ein guter Spieler, ist, dass er absolut furchtlos daherkommt. Ich habe viele gute Spieler in die Kabine gehen sehen, die zerbrochen sind oder auf Spielfeld traten und nicht mehr sie selbst waren. Seine größte Stärke für mich ist seine Furchtlosigkeit. Er kann Champions League spielen und würde aussehen als wäre er schon ewig dort gewesen. Damit und mit seinem Appetit für das Spiel, liegt ihm die Welt zu Füßen.“)
Kommt euch das bekannt vor? Richtig, es ist genau diese (Zahn verloren - na und?) Demme-Mentalität, die du insbesondere im defensiven Mittelfeld brauchst, um wie eine Maschine ein ganzes Spiel über: rennen, kämpfen und Bälle erobern zu können. Bei Diego hat man immer das Gefühl, dass er überall auf dem Feld ist. Schaut man sich seine Laufwerte und Gesamt-Heat-Map bspw. aus dem großartigen, ersten Bundesligajahr 2016/17 an, war das so und ist auch immer noch so.
Heat-Map Diego Demme, Saison 2016/17 (Quelle: Sofascore)
Man könnte meinen, Diego kann und möchte immer (Fußball spielen). Aber wie wir insbesondere in letzter, als auch dieser Saison gesehen haben, kommt auch er verständlicherweise in unzähligen, englischen Wochen an seine körperlichen und mentalen Grenzen und wird verletzungsanfälliger. Eine riskante, vereinsziel-gefährdende Situation entsteht. Und sie wird auch noch verstärkt, weil er als sowieso schon meist-eingesetztes, lückenschließendes, „Drecksarbeit machendes“ Lauf-/Passmonster und ultimatives Verbindungsglied zwischen Abwehr und Angriff auch unverzichtbar ist. Wie wir alle wissen, kann ein Diego den Unterschied ausmachen: Da es ohne ihn meist schlechter läuft als mit ihm. Weil er antreibt. Weil er immer kämpft. Weil er seine Mitspieler besser macht. Und weil er, auch wenn es mal schlecht läuft, meist immer noch der Einäugige unter den Blinden ist.
Daher ist es (und war es eigentlich schon im Sommer) für RB Leipzig essentiell wichtig, dass Adams nun da ist, um die extrem wichtige defensive Mittelfeldposition breiter aufzustellen und Diego zu unterstützen. Wie essentiell wichtig solche Typen auf den zentralen Mittelfeldpositionen sind, weiß auch Tyler:
“I think you see now in modern-day soccer guys like N'Golo Kanté and Naby Keita from these big clubs that get the job done no matter what. I think those are guys that have engines and they do all of the dirty work for guys around them to be creative.” [Quelle]
(Im heutigen, modernen Fußball siehst du Typen wie N'Golo Kanté und Naby Keita von den großen Klubs, wie sie ihre Arbeit machen, ganz gleich was zu tun ist. Ich denke, dass solche Typen Maschinen haben und all die Drecksarbeit machen, damit die Spieler, um sie herum, kreativ werden können.“)
Die Kantés, Keitas und Demmes dieser Welt
Natürlich ist Adams entwicklungstechnisch aktuell noch kein Kanté, Keita oder Demme. Dass waren die Genannten selbst aber auch noch nicht mit 19 Jahren. Der heute 27-jährige, 80-Millionen schwere Star N'Golo Kanté von Chelsea hat mit 21 noch in der zweiten und „erst“ mit 23 in der ersten französischen Liga gespielt. Auch ein Naby Keita und Diego Demme spielten mit 19 noch in der zweiten französischen bzw. deutschen Liga. Der Schritt für Adams wird daher entsprechend groß sein. Aber entscheidend für Entwicklung und Erfolg sind natürlich die fußballerischen, körperlichen und charakterlichen Voraussetzungen, die der Spieler durch weitere Entwicklungen auf ganz neue Dimensionen hieven kann. Gerade auf den zentralen Mittelfeldpositionen sind Erfahrung, Technik, Passspiel, Zweikampfstärke und Ausdauer essentiell. Die Spreu vom Weizen trennt sich aber insbesondere bei den Fähigkeiten, das Spiel aus der zentrale heraus lesen und antizipieren zu können, um daraus heraus kreative Aktionen wachsen zu lassen, die das Spiel gestalten und erfolgsversprechend beeinflussen. Die unnachahmlichen Stärken von Naby Keita sind bspw. gegnerische Passwege zwischen den Strafräumen vorauszuahnen, dadurch viele Bälle zu erobern und durch ein herausragendes Umschalt- und Passspiel seine Mitspieler in der Tiefe in Szene zu setzen oder gar unnachahmlich im 1-gegen-1 ein oder mehrere Spieler zu umspielen und selbst Chancen zu kreieren, insbesondere dann, wenn die Räume auch mal sehr eng werden. Ich weiß gar nicht wie oft ich ihn schon schmerzlich in Spielen gegen tiefstehende und kompakte Teams (siehe Augsburg, Schalke, Freiburg) vermisst habe, wo er durch seine Fähigkeiten, den kreativen bzw. spielerischen Unterschied hätte machen können.
Versprechen in die Zukunft?
Aber was hat das mit Tyler Adams zu tun? Was können wir neben der schon bereits erwähnten Furchtlosigkeit auf dem Feld von ihm erwarten? Was sind seine Stärken, Schwächen und Feldpositionen auf denen er sich sieht und eingesetzt werden kann?
Auf dem ersten Blick wirkt Adams wie ein Fußballer, der noch zu jung und zu schmächtig ist, um mit gegnerischen Mitspielern auf Topniveau konkurrieren zu können. Aber das täuscht. Seine Athletik, seine Persönlichkeit und Auftreten auf und neben dem Platz, seine Mentalität und Führungsqualitäten sind ungewöhnlich für jemanden in seinem Alter. In allen Interviews, die ich gesehen bzw. gehört habe, wirkte Tyler immer sehr sicher, gelassen, souverän und sprach stets mit einer akzentuierten, reifen Stimme. Niemals wirkte er selbstdarstellerisch, egozentrisch oder exzentrisch, sondern eher wie jemand der demütig ist und mit gutem Beispiel vorangehen möchte. Schwierigen Fragen, die andere sichtlich nervös und unsicher machen würden, wich er nicht aus, sondern begegnete ihnen offen und beantwortete sie direkt und umfassend. Dabei wirkte er sehr authentisch, sagte was er denkt und nicht das, was andere vielleicht hören möchten. Dabei legte er dieselbe vorausschauende, selbstbewusste und furchtlose Mentalität an den Tag, die ihn auch auf dem Feld antreibt, insbesondere gegen große Namen zu bestehen und immer besser zu werden.
“To say you’ve played against Zlatan Ibrahimovic, Wayne Rooney, Schweinsteiger and, on your personal scale, you had a 9/10 game and he had a 5/10 game, but you’re the reason why, that’s what’s going through my head. They’re great players, and, of course, what they’ve done is truly amazing in their careers. But when I play against them, I wanna beat them so I can say that I beat them.” [Quelle]
(„Zu sagen, gegen Zlatan Ibrahimovic, Wayne Rooney und Schweinsteiger gespielt zu haben, und man, auf einer persönlichen Skala, ein 9/10 Spiel hatte, sie dagegen nur ein 5/10 Spiel, und man selbst der Grund dafür war, das geht durch meinen Kopf. Es sind große Spieler, und natürlich ist das, was sie in ihrer Karriere erreicht haben, wirklich großartig gewesen. Aber wenn ich gegen sie spiele, möchte ich sie schlagen, damit ich sagen kann, dass ich sie besiegt habe.“)
Er weiß definitiv, dass er ein guter Spieler ist. Aber er vergisst dabei nie, dass das Team im Vordergrund steht. Selbstbewusst sagte er:
“I have established myself, but I know there’s so much more I can contribute to the team. When I’m playing at my best, I’m really hard to stop and a really tough player to play." [Quelle]
"When I'm playing with confidence, I have a lot of qualities that are hard to defend and hard to read on the field. But you don't want to have one good year, then a bad year, then a good year, and on and off. I want to have 15 good years.” [Quelle]
(„Ich habe mich selbst etabliert, aber ich weiß, dass es noch so viel mehr gibt, was ich zum Team beisteuern kann. Wenn ich mein bestes gebe, dann bin ich wirklich schwer zu stoppen, und wirklich schwer zu bespielen. Wenn ich mit Selbstvertrauen spiele, habe ich Qualitäten, die auf dem Feld schwer zu verteidigen und zu lesen sind. Aber man möchte nicht abwechselnd nur ein gutes und dann wieder ein schlechtes Jahr haben. Ich möchte 15 gute Jahre haben.“
Drecksarbeit
Fußballerisch und charakterlich ist der Kämpfer Adams viel mehr Ballverteiler und Laufwunder Demme als Dribbler und Schlüsselpassspieler Keita. Er ist aber von seiner Veranlagung und seinem Können her irgendwo dazwischen anzusiedeln, da er offensiv durch seine (wie ich finde) doch etwas feinere Technik, ggf. noch mehr Entwicklungsmöglichkeiten hat. Schaut man sich die wichtigsten Statistiken von Diego und Tyler im direkten Vergleich über 90min per Spiel an, sieht man auch sehr schön, dass sie eine ähnliche Spielweise verfolgen.
Ihn mit einem Naby Keita zu vergleichen, würde ihm und seiner Art zu spielen nicht gerecht werden. Dafür ist Naby auch zu speziell und einzigartig, hinsichtlich seiner kompletten defensiven und insbesondere offensiven Fähigkeiten. Dennoch nennt Adams auch einige „keitaeske“ Attribute sein eigen. Er ist wie Naby ein klassischer Box-to-Box-Spieler, der seine Stärken in der defensiven (6er Position) als auch offensiven Balleroberung (8ter Position) im Mittelfeld hat. Seine hervorragende Spielintelligenz erlaubt es ihm, ein Spiel zu lesen und gegnerische Passwege zwischen den Strafräumen vorauszuahnen, lauf- und zweikampfintensiv dazwischen zu gehen, dadurch Bälle zu gewinnen und durch sofortiges Umschalten seine Mitspieler in Szene zu setzen. Aber einen Ball zu gewinnen, ist das eine, mit ihm etwas anfangen zu wissen, das andere. Ich kann euch aber versichern, Adams kann beides. In der MLS war er in der diesjährigen Saison der drittbeste Balleroberer mit 2,17 Bällen pro Spiel aller Mittelfeldspieler (mind. 10 Spiele eingesetzt).
Balleroberungen per Spiel, MLS 2018 (Quelle: Sofascore)
Wie er selbst im o.g. Interview skizziert, ist er auch ein Spieler, der viel Aufwand auf dem Feld betreibt und gern die sogenannte Drecksarbeit („dirty work“) übernimmt, um andere zu entlasten oder ihnen Raum zur Kreativität zu lassen.
Heat-Map Tyler Adams, Saison 2018 (@Sofascore)
Passverhalten
Durch seine hohe Laufarbeit ist er oft anspielbar und verteilt Bälle zwischen den Ketten. Die ganze Saison 2018 über betrachtet, schlug er in seinem Team (das im Übrigen die Saison als erster der Tabelle beendete, aber leider im Halbfinale der Playoffs ausschied) pro Spiel die meisten Pässe bei zweitbester Passquote.
Passverhalten RedBull New York (@Sofascore)
Im Detail
Das Spiel von New York ähnelte im weitesten Sinne unserer „Fußballphilosophie“, mit aggressivem und hohem Pressing-, Gegenpressing und schnellem Umschaltspiel zu agieren. Diese Art zu spielen, wurde Tyler Adams sozusagen in die Wiege gelegt und durch seinen Förderer und damaligen Coach Jesse Marsch unterstützt. Zur Verdeutlichung habe ich den 3:0 Sieg im Playoff-Viertelfinale gegen Columbus am 04.11. einfach mal beispielhaft ein wenig genauer aufbereitet. New York spielte (wie fast die gesamte Saison über) mit Adams und Davis auf der Doppelsechs im flexiblen 4-2-3-1.
Das System zeichnet sich durch ein starkes Mittelfeld aus, wirkt aber auf dem ersten Blick in seiner Grundordnung eher defensiv (hängt aber natürlich von den Abständen zwischen den einzelnen Ketten ab). Das New Yorker Spiel war auf Ballgewinne und schnelles Umschalten ausgelegt. Aufgrund des Übergewichts im Mittelfeld entstanden hier oft Überzahlspiele, die durch die Rolle der beiden „Sechser“, insbesondere Adams, verstärkt wurden. Häufig schaltete sich Adams, als guter Balleroberer, Ballsicherer und technisch versierter Spieler, ins Angriffsspiel mit ein und erhöhte damit den Druck auf die gegnerische Defensive. Die beiden Flügelspieler Muyl und Royer rückten dann oft aus dem Mittelfeld auf und wurden quasi zu Flügelstürmern. Dabei entstand ein starkes Offensivspiel im 4-3-3 über außen. In der Passmatrix sieht man sehr schön, wer die tragenden Säulen im Spiel von New York waren. Adams war hier (zusammen mit dem 10ner Gamarra) der Spieler, der am häufigsten (erfolgreich) angespielt worden ist (45 Pässe) und die meisten Bälle auch erfolgreich verteilt hat (39). Dabei spielten sie sich auch untereinander, die meisten erfolgreichen Pässe zu (8 zu 8) und drückten dem Spiel ihren Stempel auf.
Passmatrix
Trägt man nun die Passmatrix grob auf die Feldpositionen der Spieler ab, teilt das Feld zudem in 11 Pass-/Spielzonen und spiegelt die Heat-Map dagegen, erhält man einen interessanten Eindruck davon, wie das Spiel taktisch geprägt war (Matchplan) und welche Passwege genutzt worden sind (natürlich mit der Einschränkung, dass nicht alle Pässe genau aus der vorgesehenen Position gemacht worden sind).
Passzonen
Heat-Map (@whoscored.com)
Führungsspieler
Abschließend betrachtet, war Adams die ganze Saison über mit seinen erst 19 Lenzen bereits absoluter Stamm- und Führungsspieler in seinem Team. Eine wirklich bemerkenswerte Leistung. Wie wichtig er war, zeigte sich insbesondere dann, wenn er mal nicht verletzungsbedingt spielte (ähnlich wie bei uns Demme, Kampl). Dennoch muss man an dieser Stelle konstatieren, dass das Niveau der Major League Soccer im Vergleich zur Bundesliga natürlich auch ein weitaus geringeres ist. Tyler hat unbestritten schon jetzt herausragende Qualitäten in der Defensivarbeit, Ballverteilung und Spielführung. Zudem besitzt er eine großartige Mentalität. Dort liegen auch seine absoluten Stärken. Großes Potential hat er hingegen noch in seinem Spiel nach vorn. Er war bisher kein herausragender Dribbler, Vorlagengeber oder Torschütze (siehe Spinnennetzdiagramm). Dort muss und wird er sich noch verbessern müssen. Die Erwartungshaltung darf hier aber nicht sein, dass er einen Naby Keita mit seinen herausragenden offensiven Fähigkeiten wird. Ein Keita mit seinen defensiven Fähigkeiten (Antizipieren, Balleroberung) und einen torgefährlicheren Demme darf man hingegen schon (zukünftig) erhoffen.
Ausblick
Einen noch so jungen, talentierten, defensiven Mittelfeldspieler wie Tyler Adams für einen Betrag im unteren 7-stelligen Millionenbereich zu verpflichten, ist wahrlich ein Schnäppchen und damit sicherlich ein „no brainer“ (die „Synergieeffekte“ im RedBull-Universum sei Dank). Es muss für Adams in den nächsten Wochen und Monaten darum gehen, sich über herausragende Leistungen im Training, sich den Respekt der Mitspieler und Trainer zu erkämpfen und für die erste Mannschaft zu qualifizieren, um irgendwie Spielzeit zu ergattern. So ein Wechsel in der Winterpause, ohne eine entsprechende Vorbereitung mit Trainingslager und vielen Testspielen zu absolvieren, ist dabei nicht wirklich optimal. Unser am Ende unglückliches, aber verdientes aus in der Euro League führt zudem natürlich nun auch dazu, dass die Anzahl der Spiele insgesamt dramatisch abnimmt, in denen durchrotiert werden muss, weil die Belastung für einige Spieler, wie bspw. auch unseren Diego, zu groß werden würde. Es ist unterm Strich daher keine wirklich einfache Situation für ihn in der zweiten Saisonhälfte. Aber ich habe mich mit Tyler Adams in den letzten Wochen und Monaten nun wirklich sehr intensiv beschäftigt, um sehr sicher zu wissen, dass ihn diese Situation eher anspornt statt verängstigt. Man darf daher gespannt sein, wie er diese bewältigt.
Ich freue mich auf ihn. Für die Kaderplanung ist er extrem wichtig für die Zukunft. Er füllt die riesige Lücke hinter Diego Demme, wenn er mal nicht spielen kann, mit Leben. Wir bekommen ein selbstbewusstes Mentalitätsmonster, von dem man immer 100% bekommt und ein herausragendes, ziemlich komplettes Talent auf der defensiven, zentralen Mittelfeldposition, dass für diese Position noch sehr jung an Jahren ist, aber bereits schon leistungstechnisch aufhorchen lassen hat. Ob er sofort weiterhelfen kann und das Niveau der Mannschaft gleich hebt, kann ich mir persönlich noch nicht vorstellen. Gerade auf dieser essentiell wichtigen, spielsteuernden Position kannst du in so jungen Jahren noch nicht das Niveau und die Erfahrungen erreichen, die benötigt werden, um auf absolutem Topniveau zu agieren. Wenn du die notwendigen Voraussetzungen aber hast, zeigen die Beispiele Demme, Kanté oder Keita, dass du dich durch entsprechende Mentalität, Erfahrung und steigende Aufgaben dorthin entwickeln kannst. Tyler braucht Zeit, Geduld und Spielminuten. Aber er hat alle körperlichen, fußballerischen und insbesondere charakterlichen Voraussetzungen für Topniveau und ist, wie ich finde, schon sehr weit in seiner Entwicklung im Vergleich zu anderen in dem Alter. Die Tatsachen, dass er unser Spielsystem und die dahinter steckende Philosophie quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat, Leipzig bereits kennt, deutsch lt. eigenen Aussagen schon seit 5/6 Monaten lernt, sowie mit Jesse Marsch einen Co-Trainer zur Seite hat, der ihn wie aus dem Effeff kennt, werden ihm helfen, sich schnell zu integrieren, zu entwickeln und gute Leistungen zu zeigen. Wie gut werden wir sehen. Sein unbändiger Ehrgeiz, sein Vertrauen in die eigenen Stärken und Fähigkeiten und seine Angstlosigkeit vor großen Namen und Aufgaben werden zudem förderlich sein. Nun heißen wir ihn willkommen: „Welcome in Leipzig, Tyler Adams. It’s pleasure to have you here and to see you soon on the pitch.”
Justgroovy
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