KEITAESK – DER FLUCH UND SEGEN DES NABY KEITA! – TEIL II

Leipzig - (03.01.2019) Auch der zweite Wintertransfer kommt mit Ansage. Mit Amadou Haidara vom Bruderklub aus Salzburg wechselt der inoffizielle Keita-Nachfolger an die Pleiße. Ein enormer Rucksack und große Fußstapfen. Noch ist Haidara verletzt, kann der Malier die Lücke füllen? Mehr dazu erfahrt ihr im Porträt zu "Doudou".


Wie im Teil I beschrieben, könnte mit Tyler Adams auf absehbare Zeit, die Lücke im defensiven Mittelfeld hinter Diego Demme geschlossen werden. Wie sieht es aber mit der mindestens genauso wichtigen, kreativen, spielerischen Lücke im leicht offensiveren, zentralen Mittelfeld nach dem Weggang von Naby Keita aus? Wie am 22.12. nun offiziell verkündet wurde, ist der (leider noch längerfristig am Kreuzband verletzte) 20-jährige Amadou Haidara vom Schwesternclub Red Bull Salzburg die Antwort darauf. Und auch hier gilt: Nach den ganzen Vorgeschichten wenig überraschend, wechselt er im Januar nach Leipzig zu unserem geliebten RasenBallsport und unterschreibt ebenfalls einen langfristigen Vertrag bis 2023. Es wird von einer Ablösesumme i.H.v. 15-18 Mio. Euro plus etwaiger Anteile am Weiterverkauf ausgegangen. Für mich und unseren Trainer und Sportdirektor Ralf Rangnick sicherlich ein absoluter Wunschtransfer.
Wie aus dem Nichts!
Am 18.10.2015 spielte die U17-Nationalmannschaft von Mali ihr erstes Vorrundenspiel bei der U17-WM in Chile gegen Belgien. Mit dabei ein gewisser Amadou Haidara. Sechs Spiele später fand man sich im Finale gegen Nigeria wieder. Leider musste man es 0:2 verloren geben. Damals schrieb ein Scout ganz beeindruckt in das Forum von Scoutnation:
„Amadou Haidara, was soll ich über ihn sagen? Es ist unmöglich etwas zu sagen. Es gibt nichts über ihn zu finden. Er ist Teil der Mannschaft von Mali, dem Afrikameister unter 17 Jahren und Finalist der Weltmeisterschaft. Er ist Schütze zweier wunderschöner Tore bei einem Assist und einer der besten zentralen Mittelfeldspieler bzw. defensiven Mittelfeldspieler vor der Abwehr des gesamten Turniers. Ein herausragender Balleroberer, dynamisch, mit einer sehr guten Ballführung, geschickt in beiden Hälften des Spielfelds und praktisch beidfüßig. Auch technisch ist er ziemlich gut. Wenn er seine Fähigkeiten ausnutzt, ist in der Lage, jeden direkten Gegner leicht zu umspielen. Selbst seine Spielübersicht ist ziemlich gut. Er ist ein moderner Mittelfeldspieler, vielleicht der modernste aller U17-Teams und meiner Meinung nach der beste.“ [Quelle]
Amadou Haidara bei der U17-WM [Quelle]
Der 17-jährige, damals noch völlig unbekannte Haidara, der am 31. Januar 1998 in Bamako, der Hauptstadt von Mali, geboren wurde, ist bei dem Turnier erstmalig einer etwas breiteren Fußballwelt durch seine bemerkungswerten Leistungen international bekannt geworden. In Bamako hat er, wie so viele junge Malier, angefangen Fußball zu spielen. Entdeckt und gefördert wurde er in einer der (insbesondere in Afrika bekannten) Akademien des ehemaligen französischen Fußballers Jean-Marc Guillou. Obwohl er nach dem brillanten WM-Turnier auch zu Tests in Monaco und Bordeaux eingeladen worden ist, konnte ihn Red Bull Salzburg im Sommer 2016 18-jährig von einem Wechsel in die eigene Akademie überzeugen.
„In Frankreich lief alles gut. Beide Vereine wollten mich verpflichten. Aber ich wollte unbedingt nach Salzburg, weil mein bester Freund, Diadie Samassekou mir nur vorgeschwärmt hat, wie toll es hier ist, und als dann die Anfrage kam, hab ich mich riesig gefreut. Die Red Bull Akademie hat einen sehr guten Ruf, und ich wollte meine Chance nutzen, um mich hier weiterzuentwickeln. Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich wurde sehr gut aufgenommen, und die Trainer, Erzieher und Betreuer in der Akademie haben es mir an nichts fehlen lassen. Sie haben mir das Gefühl gegeben, eine große Familie zu haben, und das macht es leichter, wenn man so weit weg von zu Hause ist. Auf diese Weise kann ich mich ganz und gar auf das Training und meine Ausbildung konzentrieren.“ [Quelle]
Haidara beim Training in der Red Bull Akademie [Quelle]
Salzburg-Liefering und kometenhaft zurück
Haidara wurde direkt beim „Farmteam“ FC Liefering in der zweiten österreichischen Liga eingesetzt, wo er 25 Einsätze absolvierte (bei 2 Toren und 5 Assists). Schon damals erkannte Akademieleiter Ernst Tanner, dass Amadou „zu den talentiertesten Youngstern, die je in der Talenteschmiede der Red Bull Akademie ausgebildet wurden, zählt.“ [Quelle]
Haidara anfänglich beim FC Liefering [Quelle]
Unter dem damaligen Trainer der U19 von RB Salzburg, Marco Rose, wurde er zudem in der Saison 2016/17 bei der UEFA Youth League eingesetzt, die sie nach Spielen gegen Top-Vereine wie: Man City, Paris Saint-Germain, Atletico Madrid, FC Barcelona und im Finale Benfica Lissabon bekanntermaßen auch sensationell gewannen. Haidara spielte hier in jedem Spiel über jeweils die gesamte Spieldauer und war absoluter Leistungsträger.
Es dauerte nur ein Jahr bis Amadou, kurz „Doudou“, unter Trainer Oscar Garcia am 5. April 2017 im Cup-Viertelfinale gegen den KSV 1919, auch verdientermaßen den ersten Pflichtspiel-Einsatz für die Profimannschaft des FC Red Bull Salzburgs bekam. Doudou schoss nach seiner Einwechslung in der Verlängerung das entscheidende Tor zum 2:1 und belohnte umgehend das Vertrauen seines Trainers.
„Das war natürlich ein großartiges Gefühl, klar. Ich bin sehr froh, dass mir meine Trainer hier in Salzburg immer sehr großes Vertrauen entgegengebracht und mir immer das Gefühl gegeben haben, dass sie meine Fähigkeiten richtig einschätzen und einsetzen. Ich hatte nie Angst, dass ich die Erwartungen, die an mich gestellt werden, nicht erfüllen kann, und das gab mir Selbstvertrauen, die Herausforderungen anzunehmen und zu meistern.“ [Quelle]
Auch sein Bundesliga-Debüt folgte bereits wenige Tage darauf im Spitzenspiel gegen den SK Sturm Graz. Mittlerweile hat er 56 nationale sowie 25 internationale Pflichtspiele für den FC Red Bull Salzburg mit teilweise herausragenden Leistungen bei den Profis absolviert, in denen er insgesamt 13 Tore erzielte und weitere 17 Tore vorbereitete. Wohlgemerkt, als heute immer noch erst 20-jähriger. Erst im Januar wird er 21. Für einen zentralen Mittelfeldspieler in so jungen Jahren ist das eine bemerkenswerte Leistung. An dieser Stelle schon einmal ein interessanter Quervergleich zu Naby Keita. Naby brachte es im gleichen Alter und zum gleichen Zeitpunkt (abzüglich der zweiten Halbserie) auf 55 nationale und 13 internationale Spiele bei insgesamt 15 Toren und 9 Torvorbereitungen.
Unter den besten U21-Spielern weltweit
Verdientermaßen blieben seine Leistungen auf nationaler als auch internationaler Ebene nunmehr auch der breiteren Öffentlichkeit nicht mehr verborgen. Infolgedessen brachten ihm seine Auftritte nicht nur regelmäßige Nominierungen für das A-Nationalteam von Mali ein, sondern ihm wurde auch eine ganz besondere Ehre zuteil, als er in dieser Saison für die Kopa Trophy (Verbandsfußballpreis, der dem besten Spieler unter 21 Jahren verliehen wird) berufen und sogar unter die besten 10 U21-Spieler weltweit gewählt worden ist. Bescheiden kommentiert er:
„Ich bin sehr glücklich, unter den Namen zu sein. Es ist ein Traum, der Wirklichkeit wird. Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht erwartet, überhaupt auf dieser Liste zu stehen. Ich hatte eine gute Saison, aber es war unerwartet. Natürlich bin ich auch dank meiner Teamkollegen dort.“ [Quelle]
Binnen nur zweieinhalb Jahren schaffte es ein völlig unbekannter Spieler aus Mali, zu einem der besten und nunmehr begehrtesten Spieler (darunter Tottenham, Liverpool, Inter Mailand) unter 21 Jahren zu werden. Aber wie verkraftet er selbst solch einen kometenhaften Aufstieg?
„Es ging alles sehr schnell. Von der U17-Weltmeisterschaft bis zum Profieinsatz ist es nicht einfach. Ich konnte mich anpassen und bisher lief alles sehr gut. Ich bin mit Salzburg Meister geworden und wir haben Pokale gewonnen, auch wenn wir enttäuscht waren, dass wir unser Ziel, die Champions League, nicht erreichen konnten. Es zeigt, dass man immer arbeiten muss. Wenn man ein bestimmtes Niveau erreicht hat, liegt es in meiner Schuld, an der Spitze zu bleiben, um diejenigen, die mir vertraut haben, nicht zu enttäuschen.“ [Quelle]
Das sind alles erstaunlich erwachsene Aussagen, wie ich finde. Amadou wirkt trotz seines noch jungen Alters noch bodenständig, eher ruhig und unaufgeregt. Wahrlich nicht die unsympathischsten Charaktereigenschaften.
Amadou auf dem Christkindlmarkt [Quelle]
Spielweise
In Salzburg spielte er unter Rose meist auf der halbrechten Außenposition in der Raute eines 4er-Mittelfeldes (dazu später mehr im Detail). Damit lief er quasi auf der Sabi-Position (bzw. gegenüber der Kampl-Position, der meist über links kommt) bei uns auf. Im Gegensatz zu Sabitzer und Kampl interpretierte er diese Position jedoch viel zentraler bzw. offensiver und spielstärker, mehr in Manier eines Spielmachers (Zehners), wie es ein Forsberg bei uns spielt (siehe Heat-Maps).
Heat-Maps Haidara (li), Sabitzer (mi li), Kampl (mi re), Forsberg (re), Saison 2018/19 (@sofascore)
Schaut man sich die wichtigsten Saisonstatistiken in Österreich hochgerechnet auf 90min pro Spiel in dieser Saison 2018/19 (linke Seite des nachfolgenden Spinnennetzdiagramms) an, insbesondere im direkten Vergleich zu seiner eigenen Vorsaison 2017/18 (rechts), gewinnt man einen sehr guten Eindruck von seinem Spielertyp, einigen seiner Stärken und auch seiner sensationellen Entwicklung von Jahr zu Jahr.
In fast allen wichtigen Disziplinen ist Haidara damit meist unter den jeweils 10 besten Mittelfeldspielern der Liga (Platzierung in Klammern) und konnte sich damit nochmalig fast überall durchschnittlich pro Spiel gegenüber einer sowieso schon großartigen letzten Saison verbessern:
- 7,6 gewonnene Zweikämpfe (8.)
- Zweikampfquote von 63% (3.)
- Passquote von 82% (9.)
- 56 Pässe pro Spiel bei 46 angekommenen (7.)
- 2,6 Torschüsse (2) à davon 1,13 auch aufs Tor (5.)
- 0,34 Assists pro Spiel (9.)
- 1,36 erfolgreiche Dribblings (11.)
- 2,8 Schlüsselpässe (4.)
Komplettes System
Zudem zeigt der Überblick m.E. sehr gut, worin die absolut herausragende Fähigkeit von Haidara liegt. Er ist ein unfassbar kompletter Spieler, der seine Stärken nicht nur in der Defensive, sondern im Besonderen in der Offensive hat. Ob nun im Zweikampf-, Laufverhalten, in der Arbeit zurück, im sicheren Passspiel (auch unter Druck), in der Ballsicherung oder -eroberung, in seiner Technik, beidbeinigen Torschuss (hier ist er allerdings eine Waffe), Dribbling oder im Spielen des finalen Passes oder Schlüsselpasses nirgendwo fällt er ab oder sind elementare Schwächen zu erkennen. So ein Spieler kann dir als Trainer eigentlich nur Spaß machen.
Haidara komplettes Portfolio an (teilweise spielentscheidenden) Fähigkeiten erlaubt es jedem Trainer, ihn quasi überall im Mittelfeld einsetzen zu können. Ob er nun als defensiver Mittelfeldspieler vor der Abwehr oder auf der rechten, linken Halbposition oder zentralen Zehnerposition im Mittelfeld eingesetzt wird, hängt eigentlich nur vom Gegner (und damit vom taktischem System) und dem Angebot auf der Bank ab. Seine hervorragende Spielintelligenz und -übersicht erlauben es ihm, ein Spiel zu lesen und seine Mitspieler offensiv in Szene zu setzen oder stets selbst Torgefahr auszustrahlen. Anzumerken ist jedoch, dass er mit Samassekou einen kongenialen Partner im defensiven Mittelfeld hat, der ihm stets den Rücken frei hält, nach hinten einen unfassbaren guten Job macht und fast alles abräumt, was durchkommt. Inwieweit etwaige Schwächen in der Arbeit bzw. im Positionsspiel nach hinten auftauchen, wenn er diesen nicht mehr im Rücken hat, bleibt abzuwarten. Wobei natürlich ein Demme und zukünftig vielleicht ein Adams einem Samassekou m.E. in nichts nachstehen sollten.
Arsch hoch für Europa?
Aber wir wissen natürlich, dass die österreichische Liga beim internationalen Niveau nicht mithalten kann. Doch selbst in der Europaliga erreicht Haidara Höchstwerte. Auch hier war er absoluter Leistungsträger und Unterschiedsspieler bei Salzburg und hat sich ebenfalls im Vergleich zur letzten Saison weiter entscheidend verbessert.
Und Im Detail?
Das Spiel von Salzburg ähnelt (im Gegensatz zu Red Bull New York) nicht nur im weiten, sondern auch im engen, taktischen Sinne dem Leipziger System. Zur Verdeutlichung habe ich diesmal den 2:5 Erfolg der Salzburger im Europaliga-Gruppenspiel gegen Rosenborg Trondheim am 08.11. einfach mal beispielhaft ein wenig genauer aufbereitet. Salzburg spielte (wie fast die gesamte Saison über) im uns bekannten (und oft gespielten) 4-1-2-1-2 (bzw. je nach Interpretation 4-4-2, 4-3-1-2 bzw. 4-3-3).
Das Salzburger System zeichnete sich durch ein starkes, zentrales Mittelfeld aus. Bei dem der, wie schon erwähnte, sehr starke „Vorstopper“ (6er) Samassekou den spielstarken Schlager und insbesondere Haidara auf den Halbpositionen im Mittelfeld stets die Rücken frei hielt. Gerade Haidara wich hier häufig in die zentrale, spielmachende (10ner) Position aus und versuchte oft direkt die beiden Spitzen (Dabbur und Gulbrandsen) einzusetzen. Auf den ersten Blick vermag das System in seiner Grundordnung „flügellahm“ wirken. Aber das war es bei Salzburg ganz und gar nicht. Im Gegenteil, die beiden Außenverteidiger (Ulmer, aber insbesondere Lainer) schalteten sich immer wieder offensiv mit ein, besetzten laufstark die Flügelpositionen und verengten (oder nutzten) die frei werdenden Räume. Aufgrund des dadurch entstandenen Übergewichts in der gegnerischen Hälfte, kam es hier oft zu Überzahlspielen (Dreiecken).
In der Passmatrix sieht man sehr schön, wer die tragenden Säulen im Spiel waren. Insbesondere das Dreieck Haidara, Samassekou und Lainer waren die Spieler, die am häufigsten (erfolgreich) angespielt worden sind und auch die meisten Bälle erfolgreich verteilt haben.
Dabei spielten sich Lainer und Haidara auch untereinander die meisten erfolgreichen Pässe zu (21 zu 21) und drückten dem Spiel ihren Stempel auf. Nach Minamino, der überragende 3 Tore schoss, war Haidara der beste Mann auf dem Feld. Die 77 erfolgreichen Pässe spielte er mit einer hohen Passquote von 86%, schlug 2 Schlüsselpässe, gewann 2 von 2 Dribblings und 8 von 9 Zweikämpfen.
Trägt man auch hier nun wieder die Passmatrix grob auf die Feldpositionen der Spieler ab, teilt das Feld zudem in 11 Pass-/Spielzonen und spiegelt die Heat-Map dagegen, sieht man sehr schön, wie sehr Salzburg das Spiel taktisch immer wieder auf die spielstarke rechte Seite von Haidara und den stets aufrückenden Lainer verlagerte und den Gegner darüber dominierte.
Passzonen
Heat-Map - Salzburg von rechts nach links (@whoscored.com)
Das nachfolgende Video zeigt die Entstehung der Tore zum 0:1 und 0:3. Auch hier sieht man sehr schön, wie erfolgreich sie die rechtsseitige Verlagerung auch in Tore ummünzten.
Spiegelt man nun einfach mal unseren Sieg am 02.10. gegen Gladbach dagegen, erkennt man die Parallelen im taktischen System.
Heat-Map, Leipzig von links nach rechts (@whoscored.com)
Der Unterschied besteht insbesondere darin, dass wir im Gegensatz zu Salzburg unsere linke (statt die rechte) Achse (Kampl, Demme, Halstenberg, Upa) überlagern und nicht ganz so hoch standen und pressten. Gerade in den beiden direkten Vergleichen gegen uns, hat man gesehen, dass die taktische Disziplin, Abstimmung und Verzahnung der Ketten untereinander bei Salzburg noch viel stärker ausgeprägt, weniger anfälliger und die Interpretation zudem viel spielstärker war als unsere (natürlich insbesondere auch der individuellen Qualität und Möglichkeiten der eingesetzten Spieler, wie bspw. Haidara, und der geringeren Belastung in der heimischen, österreichischen Liga geschuldet).
Der Quervergleich – Eine Hassliebe
Natürlich ist man immer bestrebt, Quervergleiche zu bereits funktionierenden, oft herausragenden Spielern aus der Vergangenheit oder Gegenwart zu finden. So ist es auch im Fall von Naby Deco Keita. Es gibt unzählige (teils interessante, aber oft auch krude) Artikel darüber, wer nach dem Weggang alles der nächste Naby werden könnte. Zu besonders war er für unser Team. Zu sehr hat er (in Topform) unser Spiel auch geprägt, ja dominiert und Gegnern als Unterschiedsspieler das Fürchten gelehrt. Umso länger die Lücke nicht geschlossen werden konnte, umso wilder wurden die Artikel und Spekulationen. Naby war damals oft ein Segen für unser Spiel, wirkte aber nach seinem Weggang bis heute fast wie ein Fluch und hinterließ ein schweres Erbe.
Aber möchte man als Verein überhaupt einen 1zu1-Ersatz? Heißt Ersatz nicht gleichzeitig auch Stillstand, da eine Fokussierung auf Altbewährtes? Wo ist da die Weiterentwicklung - der nächste Schritt? Und ist es zudem überhaupt sinnvoll, einen jungen Spieler wie bspw. Amadou Haidara in Vergleich zu einem in Topform befindlichen, bereits viel erfahreneren und älteren Topspieler Keita in der Bundesliga zu vergleichen? Läuft so ein Vergleich nicht eher Gefahr, mehr als Bürde, denn Motivation empfunden zu werden? Eine Bürde, die die Möglichkeit, eine eigene Identität oder gar eigenen Namen (bzw. heutzutage eher Marke) zu entwickeln, verhindert? Eine Bürde, die die Fußstapfen schnell auch zu groß erscheinen lässt?
Die Antwort lautet m.E.: Jaein! Ja, wenn es nur darum geht, subjektive 1zu1-Vergleiche bspw. alters-, positions-, liga- oder länderübergreifend etc. zu erheben, ohne Berücksichtigung entscheidender Unterschiedsfaktoren, insbesondere dann, wenn sie objektiv nicht oder nur schwer belegbar sind (da nicht oder nur schwer messbar bzw. analysierbar).
Dagegen aber nein, wenn genau diese Faktoren so objektiv wie möglich berücksichtigt werden, um faktenbasiert, bspw. vorhandene Fähigkeiten zu analysieren und ggf. quer zu vergleichen, um zukünftige Entwicklungen im Kontext eines neuem Teams, Umfelds oder einer neuen Liga voraussagen zu können. Oder, anders formuliert: um die Wetten auf die Zukunft eines Spielers (nichts anderes sind Transferwerte) im eigenen Team planbarer und (die Eintrittswahrscheinlichkeit eines sportlichen sowie monetären Erfolgs) sicherer zu gestalten. Daher sind auch für mich solche Erhebungen immer irgendwie eine Hassliebe. Dennoch verzichte auch ich im Folgenden natürlich nicht darauf, Haidara mit Naby Keita quer zu vergleichen. Aber ich versuche es so objektiv wie möglich, wie zuvor im „Nein, wenn (…)“ beschrieben.
Unterschiedsspieler
Schon in Teil I schrieb ich:
„Gerade auf den zentralen Mittelfeldpositionen sind Erfahrung, Technik, Passspiel, Zweikampfstärke und Ausdauer essentiell. Die Spreu vom Weizen trennt sich aber insbesondere bei den Fähigkeiten, das Spiel aus der zentrale heraus lesen und antizipieren zu können, um daraus heraus kreative Aktionen wachsen zu lassen, die das Spiel gestalten und erfolgsversprechend beeinflussen.“
Allen Kritikern vor seiner Verpflichtung zum Trotz, hat sich Kevin Kampl bei uns wieder hervorragend entwickelt und ist mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Wie ein Diego Demme, ist er gerade in der ersten Saisonhälfte zum Unterschiedsspieler gereift, auf den wir eigentlich nicht verzichten konnten. Sobald er aufgrund von Belastungssteuerung oder Verletzung doch mal fehlte oder ausgewechselt werden musste, konnte man (nicht nur gefühlt) jedes Mal einen Bruch im Team feststellen. Nicht umsonst musste er, wie nun bekannt geworden ist, wochenlang fitgespritzt werden, damit er trotz gebrochenen Zehs spielen konnte. Eigentlich ein Unding. Aber das Risiko, die Saisonziele zu gefährden, war wohl zu groß.
Aber auch er konnte in Spielen gegen kompakte, tiefstehende, läuferisch starke, gut eingestellte und taktisch diszipliniert spielende Gegner, wo nur Nuancen oder eben individuelle Stärken von Schlüsselspielern entscheiden, spielerisch nicht immer den Unterschied ausmachen und einen Naby Keita vergessen machen.
„Die unnachahmlichen Stärken von Naby Keita sind bspw. gegnerische Passwege zwischen den Strafräumen vorauszuahnen, dadurch viele Bälle zu erobern und durch ein herausragendes Umschalt- und Passspiel seine Mitspieler in der Tiefe in Szene zu setzen oder gar unnachahmlich im 1-gegen-1 ein oder mehrere Spieler zu umspielen und selbst Chancen zu kreieren, insbesondere dann, wenn die Räume auch mal sehr eng werden. Ich weiß gar nicht wie oft ich ihn schon schmerzlich in Spielen gegen tiefstehende und kompakte Teams (siehe Augsburg, Schalke, Freiburg) vermisst habe, wo er durch seine Fähigkeiten, den kreativen bzw. spielerischen Unterschied hätte machen können.“
Einen Unterschiedsspieler wie Naby in Topform kannst du selbst als kompakt verteidigendes Team nicht über 90min stoppen. Ob nun im Dribbling, beim Fernschuss oder beim Einsatz seiner Nebenmänner durch einen tödlichen Schnittstellenpass in die Spitze. Im Finden von offensiven Lösungen war er eine Waffe und oft genug der Schlüssel zum Erfolg.
Doudou vs. Deco
Wie ich oben bereits schrieb, macht es weniger Sinn einen Haidara der ersten österreichischen Liga mit einem in Topform befindlichen und bereits älteren Spieler Keita in der viel Stärkeren deutschen Bundesliga zu vergleichen. Um halbwegs vernünftige Aussagen zu treffen, macht es dagegen mehr Sinn, zu versuchen, ihre Werte und Spielweisen gleichaltrig in Österreich in ihrer jeweils letzten Saison näher zu analysieren. Also machen wir doch mal genau das. Aber eines vorweg: Auch ein Haidara ist kein Keita. Das kann und soll er aber auch nicht sein oder werden. Dennoch brauch man kein Genie sein, um zu wissen, dass er ihn auf dem Feld beerben soll – hier aber weniger in seiner Spielweise als mehr auf seiner Kaderposition.
Doudou ist wie Naby ein unfassbar kompletter Spieler, der den Unterschied jederzeit ausmachen kann. Stellt man nun, wie versprochen, die wichtigsten Statistiken im direkten Vergleich über 90min per Spiel in ihren jeweils letzten Salzburger Saisons gegenüber, sieht man sehr schön, dass sich beide von ihrer ganzen Spielweise und Fähigkeiten her fast deckungsgleich ähnlich sind.
Wie eng sie beieinander liegen, ist wirklich beeindruckend. Berücksichtigen muss man hier, dass Keita damals meist in der Mittelfeldzentrale (und teilweise als Spielmacher) eingesetzt worden ist, damals im Team und Liga absoluter Überspieler war und dementsprechend noch mehr spielerische Freiheiten besaß.
Nabys technische Fähigkeiten, seine fast tänzerische Dribbelstärke und Torgefahr als Mittelfeldspieler sind einmalig. Hier reicht ein Haidara natürlich nicht an diese absoluten Spitzenwerte heran. Dagegen ist Doudou m.E. viel dynamischer, robuster und defensiv stärker bzw. nach hinten aktiver (laufstärker) als Keita. Insbesondere ist er weniger sensibel und m.E. viel besser in der Lage sich an unterschiedliche Spielsysteme anzupassen (wie aktuell auch in Liverpool zu sehen).
Die größte Schwäche des (oft extravaganten) Systems Keita war, wie wir alle wissen, seine Sensibilität und die daraus folgenden Instabilität. Wenn der Kopf aus irgendwelchen Gründen nicht frei war, weil er bspw. von Situationen auf (Schiedsrichtern, Gegenspielern) oder neben des Platzes (Werben von Liverpool, Fahren ohne Führerschein) genervt oder abgelenkt war, stimmte meist die Leistung überhaupt nicht. Manchmal schwächte er durch unnötige gelbe und rote Karten sich und die eigene Mannschaft selbst. Haidara ist sicherlich auch (äußerlich) extravagant (hinsichtlich Haarfarben, Klamotten etc.) aber meiner Meinung nach entscheidend viel weniger extravagant und anfällig. Auf die Frage in einem Interview, ob er sich in Salzburg nur aufs Trainieren und Lernen konzentrieren möchte, antwortete er bspw.:
„Nein, natürlich nicht. Ich habe hier ja auch Freunde gefunden und wir verabreden uns in unserer Freizeit und unternehmen was zusammen. Zwischen den Trainingseinheiten, Therapieeinheiten, Sprachunterricht, Fahrschule usw. bleibt aber eigentlich kaum Zeit. Manchmal sind wir auch nur zu Hause und hängen rum, weil wir einfach zu müde sind, um noch um die Häuser zu ziehen. Aber das ist schon gut so.“ [Quelle]
Glaubt ihr, dass ein Keita jemals Sprachunterricht ernsthaft betrieben hätte? Vielleicht tue ich ihm hier auch unrecht. Dennoch, nein, hier spricht kein Keita. Hier spricht jemand, der keitaesk sein kann, hoffentlich aber nur auf dem Spielfeld. Ich habe euch mal einige Szenen rausgesucht, die m.E. alles sehr gut und viel prägnanter als das geschriebene Wort zusammenfassen. Insbesondere die erste Szene steht für das, was wir bekommen werden. Mit einer leichten, aber schnellen Körpertäuschung spielt sich Haidara im Mittelfeld einfach frei, nutzt den offenen Raum sofort, um einen genauen und perfekt getimten Pass in die Spitze zu Minamino zu spielen - Tor.
Ist das keitaesk? Oh ja, es ist keitaesk.
Ausblick
Die Frage sollte nicht lauten: Ist Doudou wie Deco? Die Frage sollte lauten: Wer ist wie Amadou Haidara? Meiner Ansicht nach bekommen wir mit ihm eine weitere Ausbaustufe eines kompletten, modernen, zentralen Mittelfeldspielers, der ggf. noch besser als ein Keita bei uns funktionieren kann und der sein Potential noch längst nicht ausgeschöpft hat. Eine sehr wichtige, sicherlich sogar die wichtigste Verpflichtung nach dem Abgang von Naby.
Doudou bringt zwar weniger herausstechende, dafür aber ein unfassbares Repertoire an sehr guten fußballerischen, taktischen, körperlichen und charakterlichen Fähigkeiten mit. Und seine größte Stärke ist, dass er wenige bis keine Schwächen hat und sein System damit weniger anfällig ist. Er ist definitiv ein Unterschiedsspieler, der uns in engen Spielen extrem helfen kann, zudem den Kader weiter verbreitert, andere Spieler entlastet und insbesondere eine noch größere taktische Varianz, insbesondere in der Offensive, verschafft.
Anders wie ein Tyler Adams hat er bereits bewiesen, dass er dauerhaft auf internationalem Topniveau konkurrieren kann. Wenn er aktuell nicht schwer am Kreuzband verletzt wäre, würde er sofort funktionieren und unser Niveau auf eine neue Dimension heben. Es ist sehr schade, dass wir voraussichtlich bis März oder gar April auf ihn warten müssen. Fraglich ist, wie er zurück kommt und ob er überhaupt noch in dieser Saison Akzente setzen und uns helfen kann. Aber das Warten wird sich lohnen. Daher heißen wir auch Amadou „Doudou“ Haidara in der schönsten Stadt der Welt herzlichst willkommen.
Justgroovy
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